Im Kreuzberg-Museum diskutierten am 26.10.2012 Migrations- und Stadtforschende mit Kotti & Co über die „Soziale Mischung“. Immer wieder wird der Begriff als Leitmotiv einer Stadtentwicklungspolitik benutzt, wenn Quartiere „aufgewertet“ werden (sollen). Am Kotti dient er konkret dafür, die Belegungsbindungen in den subventionierten Wohnungen aufzuheben. Angesichts einer akuten Wohnungsnot für Geringverdienende stellt sich die Frage, warum Wohnungen mit diesem Begriff für Besserverdienende subventioniert werden und wem der Begriff in welcher Situation nützt.
Die Rede von der ‚richtigen’ oder ‚falschen’ Mischung ist in der Stadtentwicklung und in der sog. Integrationsdebatte bekannt. Hausverwaltungen wie die GSW oder die Hermes sprechen gegenüber uns Mieter_innen auch mal über eine „gesunde Mischung“, auf die sie bei der Mieterauswahl achten würden. Bei einer solchen Wirksamkeit des Begriffs, der sich in Vermietungspraxen und Stadtentwicklungspolitiken ganz real materialisiert, lohnt es sich, seine Hintergründe historisch und empirisch zu betrachten. Aus einem Kontext der Migrationsgesellschaft fragen wir außerdem, wer falsch oder richtig, gesund oder ungesund für wen sein soll.
Leitmotiv ohne empirische Basis
Der Stadtsoziologe Andrej Holm hat auf der Veranstaltung gezeigt, zu welchen strategischen Momenten der Begriff von wem in der Geschichte der Stadtplanung eingesetzt wurde. Grundsätzlich wird der Begriff von Stadtplanern eingesetzt um ein Ideal der geplanten Stadt zu zeichnen, es wird als Lösungsmodell hochgelobt, um hohe Armut in Quartieren zu bewältigen und soziale Ungerechtigkeit erträglicher zu machen.
Gibt es jedoch in der Geschichte eine empirische Basis, die belegt, dass es die „Mischung“ ist, die Arme brauchen um besser leben zu können? Wir fragen aus der Perspektive der Armut für wen der Begriff gut sein soll, nicht aus der des Stadtplaners, der die Armut bestenfalls ignoriert. Holm zeigte, wie der Begriff bereits im 19. Jahrhundert eine bestimmte Perspektive nicht gegen die Armut, sondern gegen die Armen enthielt.
Damals wurde von bürgerlichen Akteuren begonnen über die gefährliche Mischung in gefährlichen Gebieten zu sprechen. Der Diskurs enthielt die Angst vor sozialen Aufständen, die durch die Wohnverhältnisse entstehen können, weil „die Armen zu Barbaren herabgedrückt würden“, wie der Erfinder des Genossenschaftswesens 1890 sagte. Es ging demnach – in der Übertragung des kolonialen Blickes auf die proletarischen Familien – um ihre Einbindung in das soziale Gefüge, um die Kontrolle zu behalten. In den ersten Versuchen gezielter Stadtplanung war das Ziel demnach die „Auflösung von unkontrollierbaren Nachbarschaften“ (Holm).
Der preußische Stadtplaner James Hobrecht deklarierte das Ziel der Mischung: „nicht die Ausschließung, sondern die Durchdringung scheint mir aus sittlichen Gründen das Gebotene zu sein.“ Er verband mit der Durchdringung die Vision, dass die Reicheren den Ärmeren dort mit Arbeitsplätzen und Kultur ‚helfen’ würden. Der bürgerliche und inzwischen auch sozialdemokratische Mythos der sozialen Mischung ist jedoch noch nie bewiesen worden. Andererseits gibt es aktuelle Studien aus England, die zeigen, dass die Zugezogenen keinen Kontakt zu der ärmeren Bevölkerung haben. Sie gehen nicht in dieselben Läden oder Schulen, es gibt keine sozialen Kontakte - man lädt sich nicht gegenseitig ein - Mischung bringt den Armen wenig, so das Fazit dieser Studien.
Als in den 1960ern die alten Mietshäuser in Berlin abgerissen wurden, was man ‚Sanierung’ nannte, wurde der Neubau (in dem wir heute wohnen) als Abhilfe gepriesen für die „unausgewogene Sozialstruktur“, die angeblich in den alten Vierteln herrsche. Karin Zapfs sozialwissenschaftliche Studien begleiteten die Umstrukturierung. Ziel war es, dass die neuen Siedlungen den Durchschnitt der West-Berliner Stadtgesellschaft repräsentieren. Der Durchschnitt als Ziel der Mischung war fortan das Ideal, ohne Hobrechts Vision der gegenseitigen Hilfe.
Inzwischen ist „soziale Mischung“ laut Holm ein „technischer Terminus, der sich selbst genügte“ - heute begründet das niemand mehr, die Mischung selbst wird zum Ziel. Das ist allerdings nicht interesselos, sondern es geht darum, Verdrängung und Sanierung zu rechtfertigen – z.B. in den Programmen der „Sozialen Stadt“. Man sehe das im Prenzlauer Berg - da wurden nach 10jähriger ‚Sanierung‘ die Planziele 2005 noch einmal verändert: während davor die Sanierungsmassnahmen damit gerechtfertigt wurden, dass die Bevölkerungsstruktur erhalten und geschützt werden solle, hat man am Ende der Maßnahmen, als offensichtlich war, dass die Armen mithilfe der Sanierung verdrängt waren, kurzerhand die Ziele des Programms korrigiert. Jetzt war es plötzlich das Ziel gewesen „den Zugzug stabilisierender Bevölkerungsgruppen“ zu erreichen. Das nachträglich ausgetauschte Ziel wurde dann auch erreicht und als Erfolg festgestellt. Die Verdrängung zugunsten der Mischung wurde zum Legitimationsinstrument.
Bei Debatten über Berlin-Kreuzberg oder Neuköln wird der Mischungsbegriff zusätzlich noch mit dem Integrationsimperativ verschränkt. Seit Jahren wird in der Bundesrepublik, so der Soziologe Serhat Karakayalı, ein hoher Anteil von Menschen ohne jahrhundertlange deutsche Geschichte, als problematisch angesehen. Macht man mit beiden Begriffen die Gegenprobe und fragt wie durchmischt Zehlendorf oder wie integriert eigentlich Mahrzahn ist, wird deutlich, dass beides als Kampfbegriff gegen Armut und Migrationserfahrung angewendet wird. In Kreuzberg aber wissen alle, dass die „geteilte Erfahrung“ (Karakayalı), die etwas mit der Geschichte der Arbeitsmigration nach und Rassismus in Deutschland zu tun hat, einen sozialen Zusammenhalt bildet. Statistisch lässt sich feststellen, dass der überwiegende Teil der Menschen mit Migrationserfahrung eher arm ist und wenig Aufstiegschancen hat. Der dem zu Grunde liegende strukturelle Rassismus wird von Vermietern mit Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt flankiert. Eine Studie von Christine Barwick hat belegt, dass man bei gleichen sozialen Vorraussetzungen nur anhand des nichtdeutschen Namens die Wohnung nicht bekommt. Auf die Mischung kommt es also den Vermietern nicht an. Am Kotti hingegen gefällt allen die bestehende Mischung, wie Zehra Ulutürk von Kotti & Co betonte. Die Verbindungen, die durch den Protest entstanden sind, seien beinahe familiär. Die Mischung jedoch, die bei Kotti & Co erreicht wurde, fehle in Schulen und Krankenhäusern. Ihre Eltern, die der Gastarbeitergeneration angehören, wurden damals sozial isoliert. Sie hätten auch in Wannsee oder Zehlendorf wohnen können. Aber sie wurden nach Kreuzberg geschickt, andere Viertel waren behördlich nicht erlaubt. Es mache sie wütend, dass diese Generation jetzt in die Randgebiete abgeschoben werden soll, weg von der Familie, die für sie sorgt. Die zweite und dritte Generation versucht heute, genug zu arbeiten, um in Würde zu leben, aber es reiche nicht, obwohl man sich abstrampelt.
Serhat Karakayalı empfahl für die Debatte, den problematisierenden Blick auf Herkünfte abzulegen, und eher auf die Praktiken des Gemeinsamen zu blicken. Kotti & Co zeige, dass diese Praktiken bereits existieren. Die transformative Dimension von dem Protest sei beachtlich, die eben diese Gruppenkonstruktion überwinde.
Für Diversität ohne die professionellen Durchmischer
Der Mischungsbegriff wird nur zum Thema, wo es darum geht, migrantische Arbeiter- und Armenquartiere für die Mittelschicht „zurückzuerobern“, so Andrej Holm zusammenfassend. In den dank ihrer interkulturellen Offenheit attraktiv werdenden Wohnvierteln können die Mieten angehoben werden, die Immobilien teuerer vermietet werden. Es sei an dieser Stelle auch auf das Wirken des ehemaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) verwiesen. Auf sein Drängen wurde der Soziale Wohnungsbau in Berlin abgeschafft, ohne für die Mieter_innen eine Grundlage des Bleibens zu schaffen. Seine sozialdarwinistischen Thesen sowie seine stigmatisierenden Beschreibungen ganzer Stadtteile als Ghettos, sind in diesem Zusammenhang als Spitze des Eisberges im Gerede um vermeintlich richtige soziale Mischungen anzusehen.
Der Begriff der sozialen Mischung, so Andrej Holm abschließend:
- ist die „Marschmusik einer repressiven Neuordnung der Städte“.
- hat keinen empirisch nachweisbaren (positiven) Effekt auf die soziale Lage der Ärmeren
- wird verwendet, wo sich durch die Verdrängung der ärmeren Gruppen einen wirtschaftlichen Mehrwert erzielen lässt.
Deshalb braucht eine soziale Stadtentwicklungspolitik keine Mischungskonzepte und die daraus resultierende Verdrängung, sondern Gestaltungs-, Umverteilungs- und Aneignungskonzepte.
Am Kotti haben wir kein Problem mit der Mischung, sondern mit der Miete und einer verfehlten Stadtentwicklungspolitik. Den Sound des Zusammenlebens bestimmen wir selbst, die Marschmusik ist veraltet.