AG Kostenmiete, November 2012
Das kostenmietenproblem

Kostenmieten, Eigenkapitalverzinsung und Aufwendungszuschüsse - Das System des Sozialen Wohnungsbaus in Berlin

Der Soziale Wohnungsbau ist in Berlin ein Skandal. Seit Jahrzehnten sind Unsummen öffentlicher Gelder in seine Subventionierung geflossen, auch heute noch wendet Berlin rund 400 Mio. Euro pro Jahr auf. Trotzdem liegen die im Sozialen Wohnungsbau verlangten Mieten häufig über dem Mietspiegel. In vielen Fällen sind die Wohnungen so teuer geworden, dass die verlangten Mieten nicht einmal mehr von den Jobcentern bezahlt und die MieterInnen zum Umzug gezwungen werden. Wie kommt das? Warum ist die Miete trotz öffentlicher Förderung so hoch? Wie entstehen „Kostenmieten“ und wer verdient an ihnen?

Die Doppel-Betrachtung des Sozialen Wohnungsbaus

Um zu verstehen, warum und wie im Sozialen Wohnungsbau die Mieten steigen, wer eigentlich bezahlt und wer profitiert, muss man zwei verschiedene Perspektiven einnehmen. Wir wollen diese hier als „Förderperspektive“ und als „Wirtschaftlichkeitsperspektive“ bezeichnen. Die „Förderperspektive“ ergibt sich aus der Systematik der Förderung und den Gesetzen zum Sozialen Wohnungsbau und stellt im Wesentlichen die Sicht des Staates dar. Die „Wirtschaftlichkeitsperspektive“ spiegelt die Sicht der EigentümerInnen wider und macht die „Rentabilität“ einer Investition deutlich. Aus der Sicht der MieterInnen sind beide Perspektiven wichtig, denn sie bestimmen in ihrer Wechselwirkung letztendlich die Mietentwicklung.

Die „Förderperspektive“

Für die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus gibt es einen ganzen Wust an Gesetzen, die im Einzelnen regeln, was im Sozialen Wohnungsbau erlaubt ist, welche Kosten vom Staat, welche von den EigentümerInnen und welche von den MieterInnen übernommen werden und wie dies zu geschehen hat.

Die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus läuft dabei im Prinzip wie folgt: Zunächst kauft ein/e InvestorIn (oder eine Investitionsgesellschaft) ein Grundstück und errichtet darauf ein Haus. Hierfür nimmt sie eigenes Geld in die Hand, das sog. Eigenkapital, sowie Kredite bei Banken (Fremdmittel), für die sie Zinsen zahlen muss. Die Rückzahlung der Kredite erstreckt sich in der Regel über mehrere Jahrzehnte. Sowohl die Zinskosten, die die EigentümerInnen an die Bank(en) zahlen, als auch eine Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital gelten als „Kapitalkosten“.

   Eigenkapitalverzinsung
+ Zinsen für Fremdmittel
= Kapitalkosten

Ist das Haus fertig, entstehen „Bewirtschaftungskosten“. Diese setzen sich zusammen aus „Abschreibungskosten“, mit denen der im Verlauf der Förderzeit durch Alterung und Abnutzung entstehende Wertverlust des Hauses kalkulatorisch aufgefangen werden soll aus Verwaltungs- und Instandhaltungskosten, sowie einem Puffer für evtl. Mietausfälle.

   Abschreibung
+ Verwaltungskosten
+ Instandhaltungskosten
+ Mietausfallwagnis
= Bewirtschaftungskosten

Aus Kapitalkosten und Bewirtschaftungskosten wird die sogenannte Kostenmiete gebildet. Dieses liegt im Durchschnitt bei 13,-€ pro Quadratmeter, also deutlich über dem, was privat finanzierte Wohnungen auf dem freien Markt vor 20 oder 30 Jahren gekostet haben.

   Kapitalkosten
+ Bewirtschaftungskosten
= Kostenmiete

Der Löwenanteil der Kostenmiete ergibt sich aus den Finanzierungskosten, also aus den Zinsen der Banken und der garantierten „Eigenkapitalverzinsung“ der EigentümerInnen. Die Kostenmiete wird dabei zu Beginn der Förderung festgelegt. Im Klartext heißt das: Entscheidend für die Miete im Jahr 2012 in einem 1977 erbauten Haus sind nicht tatsächliche Kosten im Jahr 2012 oder die Miete vergleichbarer Wohnungen im Jahr 2012, sondern die Annahmen aus dem Jahr 1977!

Da von Anfang an klar war, dass eine Miete von 13,- € nicht nur für Geringverdienende unbezahlbar ist, zahlt der Staat über den Zeitraum der Förderung „Aufwendungshilfen“. Mit ihnen wird die Miete auf das Niveau der „Sozialmiete“ herunter subventioniert. Entscheidend ist dabei, dass die Aufwendungszuschüsse „degressiv“ gestaltet werden. Sie sinken von Jahr zu Jahr. Im Gegenzug steigt die Miete programmgemäß (i.d.R. um 0,13 €/qm p.a.). Mitsteigerungen sind also im Sozialen Wohnungsbau fest einprogrammiert und dienen der Senkung des Förderaufwandes.

Kostenmiete = Aufwendungshilfen + Sozialmiete

Fasst man die Fördersystematik zusammen, gibt es also zwei Antworten auf die Frage, warum die Sozialmieten so hoch sind. Beide sind richtig:

  1. die Mieten steigen, weil der Staat seine Förderung zurückfährt.
  2. die (Kosten)Mieten sind hoch, weil die Kapitalkosten, also die Zinsen der Banken und die Eigenkapitalrendite der EigentümerInnen, so hoch sind.

Wie in einem System kommunizierender Röhren sind Bankenzinsen, öffentliche Subventionen und Mieten dabei miteinander verbunden. Dabei gilt, was zu Anfang der Förderung vereinbart wurde.

Kapitalkosten + Bewirtschaftungskosten =
Aufwendungszuschüsse + Sozialmiete

Die „Wirtschaftlichkeitsperspektive“

Die bis hier dargelegte Förderperspektive ist vor allem für MieterInnen und Staat entscheidend, da Mieten und Subventionen für lange Zeit festlegt werden. Für die EigentümerInnen kommen jedoch noch ganz andere Gesichtspunkte hinzu, die am Ende dafür sorgen, dass eine Investition in Sozialwohnungen zum guten Geschäft wird. Die Kalkulationen der EigentümerInnen sind dabei nicht öffentlich, sie können sich je nach den wirtschaftlichen Hintergründen verschiedener EigentümerInnen unterscheiden und sie können sich auch im Förderzeitraum (30-40 Jahre) ändern.

Von Bedeutung für die Gewinnaussichten im Sozialen Wohnungsbau sind vor allem folgende Gesichtspunkte:

  1. Steuerabschreibungen: Um InvestorInnen nach Westberlin zu locken, gewährte der Bund bis 1991 Sonder-Steuerabschreibungen. Wer sein Geld in einen Sozialwohnungsbau in Westberlin steckte, konnte die dabei entstehenden Kosten von der Steuer absetzen und so seine Steuerschuld gegen Null drücken. Vor allem für Besserverdienende, die auch mehr Steuern zahlen, war dass ein Super-Geschäft. „Verlustzuweisungen“ von 200 % und mehr waren nicht selten und so erhielt jeder Investor, der sein Geld steuerbegünstigt in Sozialwohnungen gesteckt hatte, seinen Einsatz vom Finanzamt zurück. Damit konnte der Eigenkapitaleinsatz komplett aus der Steuer finanziert werden - und mit ihm die vom Gesetz gewährleistete „Eigenkapitalverzinsung“. Die Steuerersparnisse brachten also sogar noch 4,5 bis 6 % Rendite ein!
    Obwohl diese indirekte Subvention eine wesentliche Bedeutung für die Bereitschaft hatte, sich im Sozialen Wohnungsbau zu engagieren, spielt sie für die Berechnung von Mieten und Aufwendungszuschüssen in der Fördersystematik keine Rolle. Vielmehr wird so getan, als handele es sich dabei um die Privatangelegenheit der Investoren.
  2. Sichere Rendite: Ein zweiter Grund, der Investitionen im Sozialen Wohnungsbau lukrativ machte, ist die vom Staat gewährte langfristige Sicherheit. Da Aufwendungshilfen und Mieten zu Beginn der Förderung festgelegt werden und eine Eigenkapitalrendite von 4 bzw. 6,5% (bei Eigenkapitaleinsatz von mehr als 15% der Finanzierungssumme) als Bestandteil der „Finanzierungskosten“ angesehen wird, haben InvestorInnen über einen Zeitraum von über 30 Jahren eine Rendite garantiert. Diese Rendite ist auch garantiert, wenn das allgemeine Zinsniveau sinkt (wie es z.B. gegenwärtig der Fall ist) und sie ist, da der Staat im Gegensatz zu einer Bank nicht pleite gehen kann, außerordentlich sicher.
  3. Ablösung von Bankkrediten durch Eigenkapital. Dabei kann die Eigentümerin z.B. einen Kredit vorzeitig ablösen und das an seiner Stelle eingesetzte Eigenkapital nach den oben beschriebenen Förderrichtlinien mit bis zu 6,5 % verzinsen. Zieht man in Betracht, dass das allgemeine Zinsniveau aktuell deutlich niedriger liegt, kann das ziemlich attraktiv sein.
    Eine zweite Möglichkeit besteht in der vorzeitigen Rückzahlung der öffentlichen Darlehen. Der Eigentümer wird damit kostengünstig einen Teil der Bindungen los und kann jede zweite Wohnung frei vermieten. Dies trifft allerdings auch das Interesse des Staates; denn er hat vorzeitig Geld in der Kasse und muss nicht noch 20 Jahre warten, bis auch die letzten Tilgungsraten abbezahlt sind. Und die dritte Möglichkeit besteht schließlich im Verkauf: falls der/die EigentümerIn genug Vorteile kassiert, oder kein Interesse mehr an dem Geschäft mit Sozialwohnungen hat, kann er/sie die Immobilie verkaufen. In dem Fall würden sie noch ein letztes Mal eine nicht unbeträchtliche Summe einstreichen (aktuell etwa 900 bis 1.150 €/qm). Die KäuferInnen auf der anderen Seite würden nur einen vergleichsweise niedrigen Betrag finanzieren müssen und trotzdem alle zu Förderbeginn vereinbarten Vorteile genießen.

Wer verdient am Sozialen Wohnungsbau?

Wie sich zeigt, hat eine Investition im Sozialen Wohnungsbau also für InvestorInnen eine ganze Reihe von Reizen: sie ist sicher, sie bringt Steuervorteile und eine gute Rendite ist garantiert. Im Laufe der Zeit können sich sogar zusätzliche Gewinnmöglichkeiten erschließen. Die Logik der Kostenmiete garantierte den EigentümerInnen in den meisten Fällen über 30 Jahre einen hohen Gewinn. Auch für Banken ist der „Soziale Wohnungsbau“ attraktiv. Über die durch öffentliche Aufwendungszuschüsse und Mieterhöhungen finanzierten Zinszahlungen erhalten sie krisensicher das Doppelte bis Dreifache des Darlehensbetrages zurück.

Für den Staat sieht die Sache anders aus. Hier werden Mieten und Aufwendungshilfen langfristig festgelegt. Eine Änderung der Umstände, z.B. geringere Zahlungskraft der MieterInnen, kann hier nicht geltend gemacht werden. Um die in den Förderrichtlinien vorgegeben Mietsteigerungen zu verringern, hat das Land Berlin in den 1990er und 2000er Jahren sogar noch zusätzliche Fördergelder an die EigentümerInnen bezahlt.

Erst gegen Ende der Förderung ändern sich die Spielregeln. Der Status „öffentlich gefördert“ bleibt auch nach dem Förderzeitraum bestehen, solange bis die von der landeseigenen Investitionsbank Berlin ausgereichten Darlehen vollständig zurückgezahlt sind. In dieser „Rückzahlphase“ des Sozialen Wohnungsbaus entdeckt der Staat sein Interesse an den tatsächlichen Kosten der EigentümerInnen. Die aktuell geltenden Verordnungen sehen vor, dass jede Ersparnis auf Eigentümerseite zur schnelleren Abzahlung der öffentlichen Darlehen genutzt wird. Eine durch die geringeren Kosten mögliche Mietentlastung ist in den sogenannten „Tilgungsplänen“ nicht vorgesehen. Hohe Miete heißt also auch hohe Tilgung, d.h. hohe Rückflüsse an den Landeshaushalt.

   Sozialmiete
– Bewirtschaftungskosten
– Kapitalkosten
= Tilgung der Aufwendungsdarlehen

Alle Einsparungen auf der Eigentümerseite z.B. durch Umschuldungen der Kredite müssen nun direkt in die Rückzahlung der Aufwendungsdarlehen gesteckt werden. Dabei müssen die EigentümerInnen nicht nur auf die Anrechnung der bisher getilgten Kredite verzichten, auch die Eigenkapitalverzinsung wird auf das Niveau zu Beginn der Förderung zurückgesetzt.

Wenn zwei gewinnen, ist der Dritte immer der Mieter

Wenn man den Sozialen Wohnungsbau in Berlin über die Zeit betrachtet, fallen also zwei sehr unterschiedliche Phasen auf: In den ersten 30 Jahren der Förderung garantierte die „Kostenmiete“ den EigentümerInnen eine hohe Rentabilität und die Finanzierungslast für die damit erwirtschafteten Gewinne wurden zwischen MieterInnen und SteuerzahlerInnen hin und her geschoben. Mit dem Eintritt in die Rückzahlphase ändert sich das grundlegend: Die exorbitanten Gewinnmöglichkeiten der EigentümerInnen werden nun begrenzt, um einen möglichst großen Teil der Mietzahlungen in die Tilgung der Aufwendungsdarlehen zu leiten. Statt in die Taschen der Eigentümer fließen die Rückflüsse aus hohen Mieten jetzt zusehends in den Landshaushalt. Während Staat und EigentümerInnen also in der Frage wer zahlt und wer kassiert die Rollen wechseln, bleibt für die MieterInnen vieles gleich und die Mieten steigen „planmäßig“ Jahr für Jahr.

Die SozialmieterInnen Berlins werden damit zur Finanzierung der Haushaltslöcher herangezogen und diese Konstellation erklärt auch, warum es kein staatliches Interesse an einem Mietenstop im Sozialen Wohnungsbau gibt. Im Ergebnis zahlen SozialmieterInnen heute vielerorts eine Miete, die über dem Mietspiegel liegt (Am Kottbusser Tor ca. 6,-€, Mietspiegeldurchschnitt 5,21€).

„Sozial“ ist an dem „Sozialen Wohnungsbau“ also nur wenig. Der „Soziale Wohnungsbau“ ist eher ein schlecht organisiertes, teures und kaum nachhaltiges Wirtschaftsförderprogramm, das zuerst EigentümerInnen und Banken auf Kosten von SteuerzahlerInnen und MieterInnen sichere Gewinne ermöglicht, danach hohe Mieten zur Haushaltskonsolidierung nutzt und anschließend ohne Effekte nach Ablauf der Förderzeit komplett verpufft. Hier muss grundlegend etwas geändert werden. Dafür muss aber nicht mehr nur über Kosten und Mieten, sondern auch über Gewinne und Renditen geredet werden.