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Korrektur der „Berliner Verhältnisse“

Preisgünstige Sozialwohnungen trotz Fördermittelstopps

Berlin will jetzt neue Sozialwohnungen bauen. Auch der Ankauf von neuen Belegungsrechten wird diskutiert. Gleichzeitig werden bestehende, mit immensen Steuermitteln finanzierte Sozialwohnungen samt ihrer gewachsenen Sozialstrukturen einfach abgeschafft. Begründet wird dies mit den ineffizienten Aufwendungen für ein System, das angeblich „ohnehin nicht mehr zu retten“ sei. Dabei könnte eine Korrektur der „Berliner Verhältnisse“ trotz Fördermittelstopps zu preisgünstigen Sozialwohnungen in der Innenstadt führen.
Obwohl die Gesetzgebungskompetenz für den Sozialen Wohnungsbau seit nunmehr acht Jahren beim Land liegt, wurden in Berlin die rechtspolitischen Möglichkeiten zur Korrektur der Berechnungsgrundlagen der Kostenmieten bislang nicht ausgelotet.

Dabei ist eine Prüfung, ob die Kostenmieten um künstlich „aufgeblähte“ und „fiktive“ Kosten1

1 Vgl. hierzu auch den Beitrag „Berliner Verhältnisse“.
bereinigt werden können, auch deshalb dringend geboten, da sich bereits bei bestehender Rechtslage und ohne Zutun der Politik herausstellen könnte, dass schon heute preisgünstige Sozialwohnungen in Berlin existieren. Gegenwärtig stellt sich die rechtliche Situation wie folgt dar:

§ 5 Wohnraumgesetz Berlin - Die Abschaffung von bestehenden Sozialwohnungen.

Auf die Mietsteigerungen bei den vom Wegfall der Anschlussförderung betroffenen Sozialwohnungen und die hierauf folgenden Mieterproteste reagierend führte das Abgeordnetenhaus im Jahr 2011 das Wohnraumgesetz Berlin (WoG Bln) ein.

In § 5 des Wohnraumgesetzes ist festgelegt, dass die Miete die ortsübliche Vergleichsmiete nicht mehr übersteigen darf, sofern es sich um Sozialwohnungen ohne Anschlussförderung handelt, bei denen sich nach Inkrafttreten des Gesetzes am 10.07.2011 die Eigentümeroder Gesellschafterverhältnisse ändern.

Die betroffenen Sozialwohnungen werden im Moment des Eigentümer- oder Gesellschafterwechsels in das Vergleichsmietensystem überführt, so dass die mit immensen Steuermitteln erkauften Belegungsrechte des Landes unwiderruflich verloren gehen. Dafür, dass diese Sozialwohnungen der wirtschaftlich günstigsten Nutzung durch die neuen Eigentümer zugeführt werden, wird weder für die Mieter noch für das Land eine wie auch immer geartete Gegenleistung erbracht.

Alternativen nie geprüft - Die unterlassene Korrektur der „Berliner Verhältnisse“.

Es ist nicht verständlich, weshalb vor der Verabschiedung des Wohnraumgesetzes nicht geprüft wurde, ob die „Mietexplosionen“ im Sozialen Wohnungsbau durch eine die bestehenden Bindungen bewahrende Korrektur der Rechtsvorschriften für die Berechnung der Kostenmieten verhindert werden könnte.

Mittlerweile hat die seitens des Senats beauftragte Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer, die zuvor schon bei der Ausarbeitung des Wohnraumgesetzes zu Rate gezogen wurde, im Rahmen einer Evaluierung des Gesetzes die Auswirkungen ihrer eigenen Empfehlungen überprüft. Hierzu erklärte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt im Dezember 2013 im Abgeordnetenhaus, dass bis heute „nicht geprüft“ wurde, „inwieweit das Kostenmietsystem repariert werden kann, ohne dass hierbei die Belegungsbindung verloren geht“.2

2 So der Referatsleiter IV A der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Herr T. Brand, im Bauausschuss des Abgeordnetenhauses am 04.12.2013, vgl. Wortprotokoll BauVerk 17/35, S. 22.

Dies muss im Interesse der Allgemeinheit nachgeholt werden, denn eine Abschaffung von bestehenden Sozialwohnungen kann sich Berlin weder aus wohnungspolitischen noch aus finanzpolitischen Gründen leisten.

Juristisch umstritten - Der Einfrierungsgrundsatz.

Bei der Berechnung der Kostenmieten ist grundsätzlich von den Aufwendungen auszugehen, die der Bewilligung der Mietsubventionierung ursprünglich zugrunde gelegt wurde (sog. Einfrierungsgrundsatz). Die „Einfrierung“ von Aufwendungen soll die Mieter vor Kostensteigerungen schützen. Neue Eigentümer von Sozialwohnungen, die diese zu Schnäppchenpreisen gekauft haben, verstehen hierunter jedoch eine Art Renditegarantie: Je höher die Aufwendungen ursprünglichen einmal waren, tatsächlich jedoch nicht mehr entstehen, desto höher verspricht die mit der Übernahme der Sozialwohnungen verbundene Rendite zu sein. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt hierzu - „trotz der Bedeutung dieses […] Rechtskontextes“3
3So Herr Prof. Dr. M. Kaufmann, Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer, im Bauausschuss des Abgeordnetenhauses am 04.12.2013 im Hinblick auf die Nichtzulassung der Revision bzgl. zweier den Einfrierungsgrundsatz bestätigender Entscheidungen des LG Berlin, vgl. Wortprotokoll BauVerk 17/35, S. 7.

4 Vgl. DAS GRUNDEIGENTUM 2013 [8], 527, 532

- nicht vor.

Begrenzung auf tatsächlich entstehende Kosten - Die Einschätzung der Investitionsbank Berlin.

Sollte gerichtlich verfügt werden, dass die neuen Eigentümer bei der Berechnung der Kostenmieten „nur“ die ihnen tatsächlich entstehenden Aufwendungen in Anrechnung bringen dürfen, hätte dies - vereinfacht betrachtet - zur Folge, dass „die Durchschnittsmieten zumindest bei den Immobilien ohne Anschlussförderung in einigen Fällen auf Beträge von 4,50 € bis 6,00 €/m2 Wohnfläche gesenkt (!!!) werden müssen - ohne Mietererhöhungsmöglichkeiten in den nächsten Jahrzehnten […]“. Dieser Ansicht ist jedenfalls ein ehemaliger Leiter der Abteilung „Förderung Mietwohnungen“ der Investitionsbank Berlin (IBB) in einem Fachartikel.4

Wenn bei der Berechnung der Kostenmieten keine „fiktiven“ Kosten in Anrechnung gebracht werden dürften, die Kostenmieten also auf tatsächlich entstehende Kosten begrenzt wären, stünden in Berlin „in den nächsten Jahrzehnten“ - bis in die 2040er bzw. 2050er Jahre - bereits heute bestehende Sozialwohnungen zur Verfügung, die für sehr viele Menschen erschwinglich und für die Jobcenter geradezu ein Geschenk wären.

Mieterhöhungen über die Kostenmieten hinaus - Die Empfehlung der Investitionsbank Berlin.

Bei Eintreten dieses für die neuen Eigentümer offenkundig als wirtschaftliche Katastrophe angesehenen Szenarios – man beachte im vorstehenden Zitat die drei Ausrufezeichen – rät der ehemalige Abteilungsleiter der IBB: „Diese Immobilien bzw. Gesellschaftsanteile müssten dann schnell veräußert werden, um das sofortige Ende (§ 5 WoG Bln) der Mietpreisbindung zu erreichen“.5
5 A.a.O.

In dem Moment also, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete die Kostenmiete übersteigt und sich das Kostenmietensystem mietpreisbegrenzend auswirkt, können Vermieter von Sozialwohnungen ohne Anschlussförderung den für ihre Wohnungen weiterhin geltenden Status „öffentlich gefördert“ mit sofortiger Wirkung ablegen und in das Vergleichsmietensystem wechseln. Durch die vermieterseits jederzeit mögliche Aufgabe des ansonsten für weitere Jahrzehnte geltenden Kostenmietensystems kann die Miete also über die Kostenmiete hinaus erhöht werden.

Preisgünstige Sozialwohnungen trotz Fördermittelstopps - Die Empfehlung des Netzwerks mieterstadt.de

Das ist weder im Interesse der Mieter noch der Steuerzahler. Zwecks Sicherung von preisgünstigen Sozialwohnungen trotz Fördermittelstopps empfiehlt der gemeinnützige Verein mieterstadt.de - Netzwerk für soziales Wohnen und bürgernahe Stadtentwicklung e.V. die folgenden Sofortmaßnahmen zu ergreifen:

In einem ersten Schritt wird § 5 Wohnraumgesetz Berlin außer Kraft gesetzt. Dies hat zur Folge, dass die noch für weitere Jahrzehnte geltenden und mit immensen Steuermitteln erkauften Belegungsrechte des Landes für Sozialwohnungen ohne Anschlussförderung erhalten bleiben. Zudem sind Mieterhöhungen über die Kostenmieten hinaus für die nächsten Jahrzehnte ausgeschlossen.

In einem zweiten Schritt wird sowohl für vergangene als auch für zukünftige Eigentümer- oder Gesellschafterwechsel von Sozialwohnungen gesetzlich klargestellt, dass bei der Berechnung der Kostenmieten an die Stelle der ursprünglichen Entstehungskosten - den sogenannten „Gesamtkosten“ - die Erwerbskosten für diese Wohnungen treten, sofern diese geringer sind als die Gesamtkosten. Außerdem wird gesetzlich festgelegt, dass ein Anstieg der Kostenmiete infolge weiterer Eigentümer- oder Gesellschafterwechsel oder infolge von Rückabwicklungen von Veräußerungsvorgängen ausgeschlossen ist. Das bedeutet, dass die jeweils geringsten Kosten - seien dies die Gesamtkosten oder die Erwerbskosten - mit dem Ziel „eingefroren“ werden, dass sich jeder Eigentümer- oder Gesellschafterwechsel ausschließlich mietpreissenkend auswirken kann. Hierdurch wird sichergestellt, dass sich die Spekulation mit Sozialwohnungen nicht mehr lohnt.

Dieses Vorgehen bietet sich insbesondere für Sozialwohnungen an, bei denen es in der Vergangenheit bereits einen Eigentümer- oder Gesellschafterwechsel infolge eines Notverkaufs gab und sich etwaig drohende weitere Veräußerungen nicht mehr auf den Landeshaushalt auswirken können. In diesen Fällen werden die Kostenmieten mit Wirkung auf die Zukunft um „fiktive“ Kosten bereinigt - und dies ohne jede Belastung des Landeshaushalts.

Reparatur des „Berliner Systems“ der Kostenmiete - Die Einrichtung einer Enquête-Kommission.

Seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 darf das Abgeordnetenhaus von Berlin verfassungskonforme Reparaturen jeder Art am „Berliner System“ der Kostenmiete vornehmen. Aller Voraussicht nach könnten die Kostenmieten auch um die künstlich „aufgeblähten“ Kostenansätze bereinigt und so weitere preisgünstige Sozialwohnungen für die Allgemeinheit gesichert werden. Eine gewissenhafte Prüfung aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für eine umfassende und nachhaltige rechtspolitische Neuausrichtung des Sozialen Wohnungsbaus im Bestand könnte durch Einrichtung einer Enquête-Kommission realisiert werden.